Erfahrungsbericht

Fallbeispiel Schutzraum


Der Ratsuchende und sein Thema:
Ein Klient in seinen 50–iger Jahren wendet sich an mich mit dem Wunsch nach einer Partnerschaft durch eine Aufstellung.  und hatte niemals zuvor eine Partnerschaft. Er möchte sich anschauen, was ihn hindert. Bisher hatte sich in seinem Leben, noch nicht die Gelegenheit ergeben, eine Partnerschaft in vollem Umfang zu erleben. Da er in sich den starken Drang nach einer intimen Verbindung auf allen Ebenen noch immer spüren kann, möchte er sich anschauen, was ihn daran hindert. Dies wird sein erstes Stellritual sein, wofür er eine kleine Einweisung von mir bekommt.

 

Seine familiäre Situation:

Der Ratsuchende ist der jüngste Bruder von 4 Söhnen einer Bauernfamilie. Seine Mutter lebte mit ihrem Mann auf dem Hof ihres Schwiegervaters. Also lebten eine Zeit lang, drei Generationen unter einem Dach. Die Geburtsabstände zwischen den Brüdern blieben jeweils unter 3 Jahren.
Der Ratsuchende erzählt, dass seine Eltern auf seine Nachfragen hin, ihm gegenüber ernsthaft und mit Nachdruck beteuerten, dass ihnen "keine" Fehler bei seiner Erziehung unterlaufen wären, sondern sie "alles" richtig gemacht hätten. Die Mutter des Ratsuchenden ist inzwischen verstorben. Sie hat er hat bis zu ihrem Tode fürsorglich betreut. Seinen Vater, der noch lebt, besucht er zweimal pro Woche.
Die Beziehung zu seinen Brüdern ist verschieden. Mit einem seiner drei Brüder versteht er sich ganz gut. Von ihm erfährt er Verständnis und Bestätigung, sobald der Ratsuchende seine Erlebnisse und Empfindungen mit ihm teilt, solange sie alleine sind. Vor den anderen Familienmitgliedern versteckt dieser Bruder allerdings seine Offenheit zum Ratsuchenden.

 

Gesundheitliche Auffälligkeiten in seinem frühkindlichen Alter:

Er berichtet, dass er als Kind bis zum Alter von 3,5 Jahren taub war, weil er kurz nach der Geburt eine Ohrenentzündung hatte, die nicht gut behandelt wurde. Das Familienoberhaupt (Schwiegervater der Mutter) untersagte damals der Mutter mit dem Säugling zum Arzt zu gehen, da ihre Arbeit auf dem Hof wichtiger sei. IM weiteren Verlauf erzählt mir der Ratsuchende, dass er viel krank war, den Eltern somit viel Arbeit gemacht hat und wegen seiner Taubheit in seiner Entwicklung verzögert war.

Der Arzt der Mutter, zu dem sie später ging, habe die Situation mit dem Jungen nicht ernst genommen, so erinnert der Ratsuchende die Aussagen seiner Mutter. Nach diesen 3,5 Jahren sei die Auffälligkeit ihres Sohnes für die Mutter so groß geworden, dass die Mutter den Arzt gewechselt habe. Direkt nach diesem Arztwechsel folgte für den Ratsuchenden eine Operation, woraufhin er wieder hören konnte. Die Verzögerung in seiner Entwicklung, konnte jedoch nicht wieder aufgeholt werden.

Mit leiser werdender und schambesetzter Stimme, berichtet mir der Ratsuchende, wie seine Brüder im Alltag auf ihn herabgesehen haben, er nicht gut genug war ein geschätzter Teil der Familie zu sein.
Seine weiteren Worte erzählten von dem sexuellen Missbrauch, den er erleben musste. Die früheste Erinnerung dieser Vorfälle machte er in einem Alter von 4 Jahren fest. Diese Erinnerungen holen ihn seitdem in einer Art Flashbacks über die Jahre wiederholt ein. Stets habe er sich schuldig für diesen Missbrauch gefühlt, fließt es aus ihm heraus, und er sei Schuld an allem überhaupt.
Er glaubt, als Strafe für den Aufwand, den er mit seinem "am Leben sein" gemacht habe, sei er sexuell missbraucht worden, dessen war er sich in seinen Ausführungen ganz sicher. Auf meine Nachfrage hin, ob der Missbrauch im engsten Familienkreis geschehen war oder von einer Person außerhalb der Familie begangen wurde – bestätigte er den engsten Familienkreis.

 

 

Die Anvisierung seines Zieles „Traumpartnerin“ über das Stellritual:

Auf Wunsch des Ratsuchenden, stellen wir ihm seine Traumpartnerin auf, so wie er sich vorstellt, dass sie sein könnte. Zur Aufstellung seiner potentiellen Partnerin wähle ich (Kerstin Kofler) zusätzlich einen Schutzraum und seine Mutter aus.

 

Positionierung:
Der Ratsuchende positioniert sich als Erstes mit dem Blick auf die Raummitte. Seine Mutter visualisiert er sich, von seiner  Position aus, direkt gegenüber. Die Rolle der Mutter wird von einer stellvertretenden Person übernommen.

Die potentielle Partnerin (weitere stellvertretende Person) stellt er hinter seine Mutter und die Traumpartnerin (weitere stellvertretende Person) hinter seine potentielle Partnerin. In dieser Weise stehen die Frauen in einer geraden Linie hintereinander:

  • Mutter
  • potentielle Partnerin
  • Traumpartnerin

Alle Frauen wenden ihren Blick in dieselbe Richtung. Die Mutter blickt direkt auf die Repräsentation von dem Ratsuchenden (weitere stellvertretende Person). Abseits, auch mit Blick auf ihn, steht der Schutzraum (weitere stellvertretende Person). Ich bitte den Ratsuchenden sich dieses Bild einzuprägen und mich nach der Aufstellung zu fragen.

 

Der Prozess des Stellrituals:

Die Mutter schweift mit dem Blick immer wieder von ihrem Sohn ab und schaut nach unten. Für kurze Momente nimmt sie fast genauso oft den Blickkontakt wieder auf. Potentielle– und Traumpartnerin können ihn nicht sehen, denn die Mutter steht dazwischen.


Der Schutzraum hat zu niemandem Kontakt, er teilt mit:
„Ich bin nicht gefragt und kann daher nichts tun.“
Ich frage ihn:
„Ob er jemanden im Blick habe?“
Die Antwort des Schutzraumes:
„Ja, die Mutter und den Ratsuchenden.“
Auf meine Frage, wie es der Stellvertretung für den Ratsuchenden gerade geht, kommt die Antwort:
„Ganz gut.“
Ich mache ihn darauf aufmerksam:
„Ihre Mutter kann Sie offenbar nicht klar anschauen, und Ihr Schutzraum hat keinen Kontakt zu Ihnen.

 

Meine Worte hierzu werden ohne weitere Reaktion zur Kenntnis genommen. Sein Blick geht erst in Richtung Mutter und danach auf den Fußboden.


Als nächstes konfrontiere ich die Mutter:
„Können Sie ihren Sohn nicht direkt anschauen?“

 

Worauf sie verlegen auf den Boden schaut und sich auf die Lippen beißt. Die Stellvertretung für den Sohn schaut wie fixiert auf den Boden neben der Mutter rechts hinter ihr, etwa 20 cm nach hinten versetzt. Dort lege ich ein Papier hin. Um auszuprobieren, was dort ist, stelle ich mich selbst darauf. Es dauert nicht lange, da spüre ich etwas Hämisches und eindeutig
nicht Wohlwollendes, das auf den Sohn schaut und noch dazu die Mutter spielend dominiert. Was es genau ist, ob eine Person oder was auch immer, kann ich nicht sagen. Die Mutter spürt rechts in der Schulter einen enormen Druck, bleibt aber stehen. Ich frage, was es mit den anderen Repräsentanten macht. Die Stellvertretung für den Ratsuchenden spürt etwas „Böses“ davon ausgehen und schaut auf den Boden.

 

Der Schutzraum sagt:
„Ich möchte gerne helfen, aber ich werde nicht gefragt.“
Ich frage die Mutter:
„Möchten Sie sich gerne in Ihrer Position verändern?“
Die Antwort der Mutter:
„Nein.“

 

Es ist deutlich zu erkennen, dass ihr ihre momentane Lage sehr unangenehm ist, trotzdem entscheidet sie sich, weiter in dieser Lage hängen zu bleiben. Die potentielle– und die Traumpartnerin bekommen nichts mit, außer dass ihnen kalt wird.

 

Jetzt gehe ich verbal anders auf die Mutter ein und frage sie:
„Möchten Sie fortgehen und möchten Sie Hilfe dabei?“
Ihre Antwort darauf lautet wieder:
„Nein!“
Kurz darauf klagt sie:
„Ich kann mich doch nicht bewegen. Mein Körper fühlt sich ganz starr an. Ich weiß nicht, wie ich aus  dieser Position herauskommen kann.“
Ich schlage ihr vor:
„Wenn es Ihnen irgendwie möglich ist, versuchen Sie zu Ihrem Sohn zu sagen, dass
Sie Ihn geopfert haben.“
Sie nickt. Ihre Erleichterung, dass jemand zuerst für sie diese Wahrheit
ausgesprochen hat, ist klar erkennbar. Sie sagt zur Stellvertretung Ihres Sohnes:
„Ja, ich habe Dich geopfert.“
Danach schaut sie direkt auf den Boden. Die Scham scheint sie zu überwältigen.

 

Ich tausche die Stellvertretung gegen den Ratsuchenden selbst ein. Danach gebe ich ihm einen schweren Gegenstand in seine Hände. Dieser schwere Gegenstand ist Sinnbild für die Folgen, die das „Handeln“ und das „Nichtstun“ seiner Mutter in der Beziehung zu ihm selbst als ihr Sohn und seine Gesundheit bewirkt haben.
Nun erkläre ich ihm, dass er er all das „Schwere“ in Achtung an seine Mutter, an sie zurückgeben darf. Er stimmt sofort zu und handelt schnell. Mit dem schweren Gegenstand in seinen Händen, stellt er sich vor seine Mutter und hält ihn ihr so hin, dass sie ihn leicht nehmen kann.

 

Dabei sagt er zu ihr:
„Ich achte dich so wie du bist. Ich weiß du hast dein Bestes gegeben, was du in deiner Situation geben konntest. Ich habe viel von deiner Schwere mitgetragen, aber jetzt möchte diese „Schwere“ nicht mehr. Sie gehört nicht zu mir, es ist deine Schwere. Deshalb gebe ich deine Schwere wieder an dich zurück.“

 

Seine Mutter zögert, sie sieht ihren Sohn voller Hoffnung vor sich stehen, die Last in seinen
Händen, die er nun endlich abgeben darf.

 

Letztendlich sagt sie einfach:
„Ja!“

 

Für einen kurzen Moment kann die Mutter dieses „Ja“ halten. Als sie jedoch die „Schwere“, die sich wirklich schwer in ihren Händen anfühlt, spürt – sagt sie und scheint selbst darüber verwirrt zu sein:


„Ich möchte diese Schwere lieber doch nicht. Das fühlt sich so schwer an, das kann ich nicht alles alleine tragen. Wie soll ich das machen? Nimm es bitte wieder zurück!“
Fleht sie den Ratsuchenden an. Er wiederum merkt wie gut es ihm ohne diese Schwere geht und entgegnet ihr:
„Ich sehe wie du leidest und es fällt mir nicht leicht diesen Weg zu gehen, aber ich habe schon so lange an deiner „Schwere“ mitgetragen. Ich kann und will diese „Schwere“ jetzt nicht mehr in meinem Leben haben. Sie macht mich müde und einsam. In mir spüre ich die Angst, dass du deine „Schwere“ nicht tragen kannst, aber es ist trotzdem Zeit dir das zuzutrauen.
Als hätte sie ihn nicht gehört, fleht sie ihn erneut an:
„Bitte, bitte nimm mir das schwere Ding ab!“

 

Ich spüre wie der Ratsuchende beginnt in sich zusammenzufallen. Er ist gezeichnet von den Mustern, die die ganze Familie über viele Jahre hinweg gelebt hat. Hier und heute kann er seinen Wunsch noch nicht aufrechterhalten, also unterstütze ich den Ratsuchenden darin, die Last, die er zuvor der Mutter übergeben hatte, wieder an sich zu nehmen. Schweren Herzens nimmt er das Schwere wieder in seine Hände. Seine Enttäuschung erfüllt den Raum. Es ist klar, dass damit die Verstrickung mit der Mutter sich im Extremen zeigen durfte, genauso wie es klar ist, dass diese Situation nicht so bleiben darf.

 

Aufnahme der wichtigsten Ressource in das Stellritual:
Damit sich für den Ratsuchenden die Situation anhaltend ändern kann, ist es notwendig, dass er die Folgen der Entscheidungen seiner Mutter tatsächlich nicht länger mit sich trägt.
Daher hole ich die für ihn wichtigste Ressource in die Aufstellung – was in diesem Fall Jesus ist. Jesus steht seitlich zu ihm und schaut ihn liebevoll an.


Ich frage, was Jesus gerade aussprechen möchte und Jesus spricht ohne weitere Zwischenworte direkt zu dem Ratsuchenden:
„Gib mir das „Schwere“, was du schon viel zu lange in deinen Händen hältst! Ich kann es gut tragen.“

 

Sichtlich erleichtert beginnt der Ratsuchende mit der Übergabe der Last an Jesus. Noch bevor er das „Schwere“ an Jesus übergibt, schlage ich ihm vor, eigene Worte für diese „wichtige Übergabe“ zu finden.

 

Er formuliert es so:
„Ich gebe dir Jesus die Folgen des Handelns meiner Mutter, und das was es mit meiner Beziehung zu ihr und mit meiner eigenen Gesundheit gemacht hat.“

 

Jesus übernimmt die schwere Last, die für ihn keine Last zu sein scheint. Der Klient kann beobachten, wie sich die Stellvertretung für Jesus zu seiner Mutter dreht und das „Schwere“ ihr vor die Füße legt.


Seine Worte dazu lauten:
„Du kannst es mir bringen, wenn du soweit bist“.

 

Die Situation des Ratsuchenden ändert sich in genau diesem Moment spürbar. Sein Körper zeigt, was der Ratsuchende noch nicht in Worte fassen kann.


Spontan sagt er:
„Ich bin nicht schuld! Die ganze Zeit dachte ich, an allem was in meiner Familie Unliebsames geschah, schuld zu sein. Ich war mir sicher, für diese Schuld fortlaufend bestraft zu werden, und ich war mir sicher, dass das alles seine Berechtigung hat. Aber jetzt weiß und fühle ich, dass das nicht wahr ist. Ich bin nicht schuld an den Dingen, die anderen Menschen oder meiner Familie zustoßen. Ich bin schuldfrei!“

 

Bei diesen Worten richtet sich sein Körper Stück für Stück auf, bis seine Brust sich stolz hervorstreckt. Sein Gesicht entspannt sich. Die Arme hängen entspannt an seinem Körper herunter. Die Hände, die gerade noch zu einer Faust geballt waren, öffnen sich sanft.
Nacheinander frage ich die Repräsentanten der potentiellen–, der Traumpartnerin und des Schutzraumes ab, was sich durch die Wahrnehmungsveränderung des Ratsuchenden bei ihnen im Inneren bewegt hat.

 

Beide Partnerin-Repräsentantinnen teilen mit:
potentielle Partnerin:
„Ich spüre Erleichterung und ein spannendes Kribbeln in mir.“
Traumpartnerin:
„Ich spüre Erleichterung.“


Beide können dennoch keinen Kontakt zu ihm erspüren. Sie fühlen sich noch immer wie abgeschnitten zu ihm.

 

Der Schutzraum braucht einen Moment für seine Antwort:
„Ich bin sehr bewegt. Die Energie ist so viel lebendiger geworden, und doch kann ich nichts tun, weil ich nicht gefragt werde. Das macht mich sehr traurig, denn ich möchte gerne etwas dazu beitragen, dass die Energie noch lebendiger wird. All meine Kapazität, möchte ich einsetzen.“

 

Ich frage daraufhin den Ratsuchenden ebenso wie die Stellvertretung für Jesus, ob sie etwas in dem aktuellen Augenblick verändern möchten. Der Ratsuchende dreht sich von seiner Mutter weg und schaut hilfesuchend zum Schutzraum. Es wird ersichtlich, dass der Ratsuchende keine Idee hat, wie er den Schutzraum um Unterstützung bitten kann.

 

Daraufhin äußert sich der Schutzraum:
„Nun habe ich endlich Verbindung zu dir, du nimmst mich war und richtest deinen Blick auf mich. Ich fühle mich in dein Bewusstsein aufgenommen. Das freut mich so sehr! Ich habe sehr lange auf diesen Moment gewartet."
Jesus ergreift das Wort:
"Ich begleite dich auf deinem Weg mein Sohn. Es ist nicht leicht einen neuen Weg einzuschlagen. Deshalb gehe ich an deiner Seite, weil es gemeinsam leichter ist."

 

Der Ratsuchende nimmt den Vorschlag von Jesus an und lässt sich von ihm führen. Die Entlastung ist ihm anzusehen den neuen Weg nicht alleine beschreiten zu müssen. Jesus hakt den Ratsuchenden sanftmütig in seinen Arm ein. Vereint gehen sie in Richtung des Schutzraumes.
Dem Schutzraum stelle ich ein langes Seil zur Verfügung, damit er damit die Größe seines Inneren in etwa darstellen kann. Daraufhin legt er das Seil zu einem großen Halbkreis um sich, den Ratsuchenden und Jesus. Der Ratsuchende stellt sich mit dem Rücken zur potentiellen– wie auch zur Traumpartnerin, und direkt frontal zu Jesus hin.


Ich nutze diesen stillen, emotional aufgeladenen Moment, um dem Ratsuchenden seinen nächsten Schritt zu erleichtern und frage ihn mit meiner sensibel geführten Stimme:
„Welche Frage tragen Sie in Ihrem Herzen, die Sie Jesus schon immer mal stellen wollten?
Nach meiner Frage lasse ich ihm die Zeit, in sich hinein zu spüren.

 

Als er soweit ist, platzt es aus ihm heraus:
„Warum?“
Die Stellvertretung von Jesus antwortet mit Tränen in den Augen:
„Ich war da, habe all dein Leiden, deine Tränen, deine Verzweiflung mit angesehen. Das war so schmerzvoll. In manchen Zeiten war es nahezu unerträglich und ich litt mit dir. Am schwierigsten war es für mich, nicht eingreifen zu können, weil ich deine Erlaubnis nicht hatte, dabei hätte ich dir gerne zur Seite gestanden und dich dort unterstützt, wo es dir am meisten hilfreich gewesen wäre.“

 

Dem Ratsuchenden steht ebenfalls das Wasser in den Augen. Eine Träne nach der anderen kullert zögerlich über seine Wangen. Sanft nickt er. Über seine Körperreaktionen und die Energie, die er ausstrahlt ist spürbar, dass er sich gesehen und gehört fühlt, auch wenn er die Frage nach dem „Warum“ nicht beantwortet bekommt.

 

Ich frage ihn nach einiger Zeit:
Möchten Sie sich gerne bewegen? Die angestauten Energien freilassen? Ihr Wunsch steht noch immer hinter Ihnen. Das Bedürfnis in einer wohlwollenden Verbindung zu leben. Der Grund, weshalb Sie sich für das Stellritual entschieden haben. Haben Sie denn jetzt schon die Kraft und den Wunsch, nach dem bisher nicht leichten Prozess, dieses Bedürfnis weiter anzugehen?
Der Ratsuchende antwortet direkt:
„Ja. Ja das möchte ich. Ich habe keinen Grund länger zu warten.“

 

Er dreht sich zur potentiellen Partnerin um. Sieht ihr mit einer tiefen inneren Ruhe in die Augen. Jesus und der Schutzraum legen dem Ratsuchenden jeweils eine Hand auf die Schulter, so dass er deren Nähe, Kraft und Anwesenheit ständig spüren kann. Was seinen inneren Frieden verstärkt. Im Gesicht der potentiellen Partnerin zeigt sich spontan ein Lächeln.

 

Die potentielle Partnerin spricht mit lebendiger Stimme energetisierendem Lächeln aus, was nun aus ihr heraus will:
Ich freue mich so sehr dich endlich sehen und spüren zu können. Du bist nicht mehr so verdeckt und unerreichbar für mich. Ich kann nun zu Dir schauen. Vorher war ich auf deine Mutter und das Geschehen drumherum fixiert, fühlte mich mit meinem Körper ganz steif und konnte meinen Kopf nicht drehen. Dennoch spüre ich ab und zu eine Last auf meinen Schultern. Es fühlt sich für mich wieder so fixierend an. Wenn ich diese Last spüre, dann bin ich steif und muss nach vorne schauen, in Richtung der Geschehnisse in deiner Kindheit.

 

Mir ist in diesem Moment wichtig, dass der Ratsuchende für sich eine klare Entscheidung trifft. Dabei unterstütze ich ihn mit der Blattaufstellung. Hierbei schreibe ich auf einem Papier: „Verbleiben in der Opferrolle“, auf ein anderes schreibe ich „Schöpfer des eigenen Lebens sein“ und gebe ihm jeweils in eine Hand eines der beiden Blätter in zusammengefalteter Form – mit dem Auftrag, nicht zu lesen, sondern zu spüren.



 

Interessanterweise wählt er nach kurzem Spüren spontan den Zettel, auf dem steht:
„Schöpfer des eigenen Lebens sein“. Er erzählt, dass er zu Beginn erst die andere Hand wahrgenommen hatte (das Blatt auf dem stand: „Verbleiben in der Opferrolle“), dass aber die andere Hand zu kribbeln begonnen hat. Und er dort mehr Kraft spürte.

 

Ich erkläre ihm, was das bedeutet:
„Jedes Mal, wenn Sie sich aktiv für Ihr Leben entscheiden, also dafür, handlungsorientiert zu leben, wie z. B. aktiv Hilfe zu holen, wenn sie eine Situation überfordert. Sich aktiv für konstruktives Denken und Handeln entscheiden. Nicht nur  auf die Umstände reagieren, die Ihnen im Leben widerfahren, dann ist die potentielle Lebenspartnerin fähig, Sie als den zu sehen und zu spüren, den Sie aus sich gemacht haben – einfach über die energetische Ebene."

 

Entscheiden Sie sich jedoch für die passive Opferrolle, ist die potentielle Partnerin nur in der Lage das zu sehen, was Ihnen damals geschehen ist. Sie kann Sie nicht als ganze Person erkennen, sondern nur als das verletzte Kind das sich für viele der
Zustände von nahestehenden Personen verantwortlich macht.“
Der Ratsuchende steht nach wie vor im Kreis des Schutzraumes. Diese Situation macht die potentielle Partnerin unsicher.

 

Sie fragt:
„Soll ich zu dir in den Schutzraum kommen?“
Von mir bekommt sie eine spontane Antwort:
„Nein! Der Schutzraum ist ausschließlich für den Ratsuchenden da. Es ist wichtig, dass dieser „Schutz-raum“ frei von reellen Personen ist.

 

Ich verstehe den Wunsch der potentiellen Partnerin als Irritation, das sich aus dem Bild ergibt, welches sie gerade vor sich sieht. Sie sieht nicht nur den Ratsuchenden, sondern auch den Schutzraum und Jesus neben sich. Noch kann sie nicht erkennen, dass er mit seinen neuen Ressourcen Schutzraum und Jesus, Kontakt mit dem Leben aufnimmt uns so sich selbst lebt.

 

Um ihr dieses Bild verständlicher zu machen, erkläre ich ihr:

„Zum Ratsuchenden in den Schutzraum hineinzugehen ist deshalb nicht hilfreich, weil dieser Raum eine Art Heilstätte und Nachreifungsstätte für seine Anteile ist. Die Anteile, die für das damalige innerliche Überleben unterdrückt und verdrängt werden mussten, dürfen jetzt zu ihrem vollen Potenzial entwickelt werden, was Ruhe braucht. Der Schutzraum bietet für ihn einen geschützten Bereich, in dem seine verletzten (kindlichen) Anteile Heilung und Wachstum erfahren dürfen, so wie sie gerade sind.

 

Die Traumpartnerin, die in der Zwischenzeit nähergekommen ist, sagt zu ihm:

 

„Ich freue mich so für dich, dass du jetzt mit deinen Ressourcen in Kontakt gekommen bist, das fühlt sich für mich sehr stimmig an.“

 

An dieser Stelle beende ich das Stellritual. Nachdem ich den Ratsuchenden gefragt habe, ob sich das Ergebnis für sein heutiges Thema gut für ihn anfühlt. Was er bejaht. Danach frage ich alle Repräsentanten ab, ob noch jemand etwas hinzufügen möchte. Dem war in diesem Fall nicht so.

 

Das Résumé des Stellrituals:
Als Résumé erzählt mir der Ratsuchende, am nächsten Tag in der telefonischen Nachsorge, dass seine Therapeutin ihm vor einiger Zeit gesagt habe, sein Vater hätte ihn geopfert. Seine Aufstellung bei mir habe ihm diese Aussage erneut und unabhängig bestätigt. Außerdem erleichtere es ihn, dass zwei voneinander unabhängige Stellen zu dem gleichen Ergebnis kommen, welchen Elternteil es auch betrifft.


In diesem Fall war es die Mutter, die ihn offenbar ebenso wie der Vater preisgegeben hat. Der Ratsuchende erkennt und wiederholt, dass er nicht die Ursache und auch nicht der Schuldige von den Problemen in seiner Familie war.


„Das Podest, auf dem die Mutter stand, ist eingestürzt.“

 

Weiterhin bekräftigt er mit einer Bibelstelle seine neue Wahrnehmung:

 

„Menschenopfer sind Gott ein Gräuel!“
(aus dem Alten Testament)

 

Ausrichtung der Nachbesprechung auf einzelne Aspekte: In der Nachbesprechung spreche ich ihn auf das Anfangsbild an:
„Erinnern Sie sich an das Anfangsbild, alle Repräsentanten haben in Ihre Richtung gesehen bis auf einen standen alle in einer Linie. Ihre Mutter, die potentielle Partnerin und die Traumfrau standen in einer Reihe, Sie standen als einziger den Frauen mit Ihrem Blick den Frauen entgegengesetzt gegenüber. Dieses Bild stellt oft eine Konfliktsituation früherer Generationen dar, die geklärt werden möchte.
Sollten Sie die Möglichkeit haben herauszufinden, welche Aktivitäten die Männer mütterlicherseits und väterlicherseits im 2. Weltkrieg innehatten, dann bringen Sie diese Thematiken in das nächste Stellritual mit. Hierbei kann es sich um eine SS oder SA Zugehörigkeit handeln. Ebenfalls ist es möglich, dass es Fronteinsätze gab oder Männer der früheren Generationen in sibirischer Kriegsgefangenschaft gehalten wurden. In diesem Bereich habe ich in Stellritualen schon einige Erfahrungen gemacht, gerade wenn es sich um die Kriegsgenerationen handelt.
Ebenso habe ich bei anderen Systemaufstellern des Öfteren sehr ähnliche Bilder gesehen. Ihnen allen liegen Verstrickungen durch Kriege oder dem Nationalsozialismus zu Grunde. Vielfach werden Thematiken mit schlimmen Auswirkungen unterschiedlicher Art sichtbar, die bis in die nächste und übernächste Generation hineinreichen. Zur damaligen Zeit gab es fast immer nachvollziehbare Gründe, warum ein Mensch nicht in der Lage war über Gräueltaten oder das Augen verschließen etc. zu sprechen. Wenn Sie solche oder ähnliche Thematiken in Ihrer Familienhistorie ausmachen können, ist es möglich dazu sehr gezielt ein Stellritual zu machen. Mit einem Stellritual sind wir in der Lage in diese alten Verstrickungen Ordnung durch Klärung hineinzubringen.

 

Der Ratsuchende hat sich erarbeitet:

  • Die Bestätigung darüber, dass seine frühkindlichen Jahre für ihn nicht optimal verlaufen sind. Ihm die Menschen, die für ihn verantwortlich waren, nicht die Führsorge zu Teil werden lassen konnten, die er gebraucht hätte, um sich sicher gebunden zu entwickeln.
  • Er selbst hat erkannt, dass er weder Schuld an den Missständen trägt, in die er hineingeboren wurde, noch für die gefühlten Unannehmlichkeiten seiner Familie verantwortlich ist.
  • Ihm ist auch bewusst geworden, dass er nicht auf dieser Welt ist, nur um seinen Eltern zu dienen, sondern dass er sich in erster Linie auf seine eigene Entwicklung konzentrieren darf.
  • Er weiß zudem, dass es für seine Eltern wichtig war, an diesem Glauben festzuhalten: „Sie hätten alles richtig gemacht“. Doch dem war nicht so. Die Eltern des Ratsuchenden haben sich ein Konstrukt aufgebaut, mit dem sie sich ihre eigene vermeintliche Sicherheit erhalten konnten, dabei haben sie aber mindestens einem ihrer vier Kinder schwer geschadet.
  • Durch dieses Wissen als auch verstehen auf der kognitiven Ebene und des emotionalen Spürens der Wahrheiten, erhielt der Ratsuchende die Chance seine eigene Handlungsfähigkeit zu erforschen. Was es für ihn möglich machte, die Verantwortung des Handelns seiner Eltern – an sie selbst zurück zu geben (in dem Fall die Mutter). Damit gibt er aus seiner Entscheidung heraus, den Willen auf, die Lasten seiner Eltern zu tragen und er gibt ebenso das Opferbewusstsein auf, welches ihn in seinen abwertenden Gedanken und Gefühlen gefesselt hatte. Ihn also davon abhielt seinen Seelenplan zu leben.
  • Jesus die wichtigste, in ihm bohrende Frage stellen zu können, nämlich: „Warum?“Und als Antwort, das „Gesehen werden“, geschenkt zu bekommen, brachte ihm die Einsicht, dass sein Leben mehr Wert ist, als nur die Lasten anderer zu tragen. Er bekam einen Hinweis, wie es sich anfühlt, wieder in die alten Muster zurückzufallen und worauf er achten kann, dass er seinen Focus eher auf die neuen gewollten Muster lenkt.
  • Für ihn bekommt der Hinweis, den er schon oft in der Bibel gelesen hat, nochmal eine klarere Bedeutung:

„Ich darf Jesus als höhere Instanz, die Lasten übergeben, die nicht meine sind
oder die mich überfordern. Diese Lasten sind bei Jesus am besten
aufgehoben.“

 

  • Auf die Weise, wie es in diesem Stellritual geschehen ist, kann er erleben, dass die Mutter nicht einfach entschuldet ist, sondern ihre Lasten selbst aktiv erlösen darf. Sowie Jesus in verschiedenen Gleichnissen erzählte:

„Wir ernten, was wir sähen.“

 

Wichtig ist hier nochmal zu beleuchten, dass die Mutter durch das

                             „Nicht–Annehmen“

die „Beziehung“ zu ihrem Sohn möglicher Weise gänzlich verloren.

 

  • Das Podest der Mutter, ist für ihn eingestürzt. Was einer späteren potentiellen Partnerschaft zugutekommen wird. Diese hat nun die Aussicht auf Augenhöhe gelebt zu werden. Der Ratsuchende sucht nun nicht mehr eine Frau die seiner Mutter ähnelt, da seine eigene Mutter nicht mehr als Göttin auf einem Podest idealisiert wird, die zuvor unnahbar war. Er wird jetzt viel mehr eine Frau finden, die ihm entspricht und wo beide sich gegenseitig wertschätzen.

 

Ersichtliche Faktoren, die als nächste Schritte heilsam sein können:

  • Der Mutter für das Leben zu danken, dass sie ihm an sich geschenkt hat.
  • Der Mutter ihr Schicksal in Achtung zurück zu geben.
  • Einen Schritt auf die potentielle Partnerin zuzugehen.
  • Ein Stellritual zum Thema Mutter, Vater und deren Eltern. Das Konstrukt, welches deren Eltern unterstützt haben.
  • Eventuell das Geheimnis der Familie ans Licht zu bringen, ohne es beim Namen nennen zu müssen. Wo gehört es hin, welche Ausläufer hat es , wie kann Befriedung gelingen? Dazu habe ich ihm die Aufgabe gegeben, nach Möglichkeit über den 2. Weltkrieg zu erfahren, wie es den Großeltern, Eltern in dieser Zeit ergangen ist.

 

Da der Auftrag „Partnerin“ war, konnten in diesem Stellritual nicht alle auftauchenden Themen gleichgewichtig erlöst werden. Gerade wenn ein Mensch zum ersten Mal ein Stellritual macht, ist es wichtig zu sortieren. Außerdem kamen Traumatisierungen hervor, die sensibel in den Prozess eingeflochten werden wollen. In seinem ersten Stellritual konnte der Ratsuchende, mit professioneller Unterstützung, die wichtigsten seiner Themen ins Licht rücken, womit erstmal der Aspekt seiner Herkunft geklärt wurde und seinem Leben damit eine neue Ausrichtung geschenkt worden ist. Damit hat er vorerst genug zu Verdauen.